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„Vergesst mir die Armen nicht“
Ein römischer Soldat biegt mit dem Fahrrad um die Ecke. Frauen in historischem Gewand marschieren in die Kirche.
In Wiechs erlebt man derzeit kuriose Begegnungen. Dabei hat alles einen historischen Grund. Nahezu der halbe Ortsteil ist beim Laurenzispiel anlässlich der 1250-Jahr-Feier von Wiechs aktiv. Geschrieben hat das Werk „Vergesst mir die Armen nicht“ die ortsansässige Barbara Kolb. Sie hatte die Vision des Stückes schon lange, nur der richtige Anlass hatte ihr eigenen Angaben zufolge bisher noch gefehlt.
Wiechs – Jetzt, 2015, aber ist der rechte Moment gekommen und schon am 10. August, am Tag des heiligen Laurentius, feiert das Stück Uraufführung. Fünfmal können dann – wie könnte es anders sein – genau 1250 Zuschauer, das Werk in 13 Bildern verfolgen. Dazu wurde eigens eine Bühne samt Zuschauerrängen vor der Wiechser Kirche aufgebaut. Das Gotteshaus hat aber eine Statistenrolle und „umrahmt“ das Bühnenbild. Die Sakristei wird zur Garderobe umfunktioniert. Während der Aufführungen wird zudem die Kirchenglocke schweigen. „Wir schalten das Läutwerk ab“, so Barbara Kolb.


„Der heilige Laurentius hat mir schon immer imponiert. Gerade in Zeiten der Flüchtlingsdebatten ist seine Thematik aktueller denn je, finde ich“, erläutert Barbara Kolb die Intention ihres Stückes. Laurentius von Rom war ein römischer Diakon zur Zeit des Papstes Sixtus II. und starb als Märtyrer. Er wird von mehreren christlichen Kirchen als Heiliger verehrt.

Der Überlieferung zufolge war er für die Verwaltung des örtlichen Kirchenvermögens und seine Verwendung zu sozialen Zwecken zuständig. Nachdem der römische Kaiser Valerian Papst Sixtus II. hatte enthaupten lassen, wurde Laurentius ausgepeitscht und aufgefordert, den Kirchenschatz innerhalb von drei Tagen herauszugeben. Daraufhin verteilte Laurentius diesen an die Mitglieder der Gemeinde, versammelte eine Schar von Armen und Kranken, Verkrüppelten, Blinden, Leprösen, Witwen sowie Waisen und präsentierte sie als „den wahren Schatz der Kirche“ dem Kaiser.

Um ihn und sein Wirken dreht sich – aber in freier Interpretation – im Wiechser Spiel alles. Dabei agiert die Autorin zusammen mit ihrer Tochter als „Schnittstelle“ zwischen den einzelnen Bildern. Damit das Werk fertig wurde, hat sich Barbara Kolb zusammen mit ihrem Mann Sebastian, selbst Stückeschreiber unter anderem beim „Edelweiß“-Theaterverein (wir berichteten), zur „Klausur“ nach Bodenmais zurückgezogen. „Dort entstand dann die Dialogfassung des Skripts“, so Kolb. Das fertige Manuskript lag ab Mai vor, seither wird eifrig geprobt.

Bei der ersten Versammlung zum Laurenzispiel in der Kirche, war das Gotteshaus bis auf den letzten Platz gefüllt. „Aus jedem Wiechser Haus war jemand dabei. Die Begeisterung war und ist beeindruckend“, erinnert sich Barbara Kolb. Schnell stand dann auch die Arbeitsaufteilung fest. Bei den Rollen gab es teils konkrete Vorstellungen, wer diese beleben sollte, bei anderen ergab sich die Besetzung durch „Bestimmerin Kolb“: „Mit dem Satz du machst das, war alles geregelt.“ Halb Wiechs wirkt nun beim eigenen Laurenzispiel mit.

Die Hauptszenen sind mittlerweile mehrfach geprobt, das komplette Werk in einem Guss noch etwas weniger. Da sind die Akteure aber auch vom Wetter abhängig. Schließlich ist das Spiel eine Freilichtaufführung. Regisseur Sebastian Kolb hat momentan noch alle Hände voll zu tun, den Laienspielern den letzten „Schliff“ zu verpassen. „Aber alle sind mit Begeisterung bei der Sache. Da so viele Menschen mitmachen, will man sie nicht enttäuschen und hofft, dass es den Zuschauern auch gefällt“, betont Barbara Kolb. Sollte eine Aufführung wetterbedingt nicht stattfinden können, dann wird diese am gleichen Tag in der Folgewoche nachgeholt. Ist dies auch nicht möglich, dann muss sie entfallen. Denn die Termine weiter in den August zu legen, geht laut Kolb nicht, da bereits viele Familien eigens ihren Urlaub für das Stück verschoben haben.

Laurentius ist der Schutzpatron vieler Berufsgruppen, die mit offenem Feuer zu tun haben, etwa der Feuerwehrleute, der Bäcker, der Bierbrauer, der Wäscherinnen und Köche. Als Diakon verwaltete Laurentius das Vermögen seiner Kirche, daher wird er auch oft von Berufsgruppen wie Archivaren und Bibliothekaren angerufen. Bei Hexenschuss, Ischias- und Hautleiden soll der heilige Laurentius ebenfalls durch Gebete helfen.

Das Stück entsteht in Zusammenarbeit mit dem „Edelweiß“-Theaterverein. Außerdem kommt im Spiel auch eine Tanz-Szene mit drei jugendlichen Mädchen vor. Die Choreografie stammt von Heide Hauser, Chorleiterin der Stadtsingschule Kolbermoor, und ebenfalls Wiechserin. Liederschreiberin Annelen Kolb hat den musikalischen Part übernommen. „Die Lieder gehen unter die Haut“, ist Barbara Kolb begeistert. Denn: Die Hauptrollen müssen singen, ebenso das Armenvolk als Chor.

Unter dem Motto „Wenn schon historisch, dann auch gscheid“ gab es zudem viel zu beachten. Perfektionismus ist allen Beteiligten wichtig. So dürfen keine BH-Träger bei den Kostümen sichtbar sein. Außerdem wurden die Kostüme teils mit schwarzem Tee auf alt gemacht. Trinkbecher aus Terrakotta wurden ebenso besorgt wie Römer-Rüstungen aus Flintsbach. „Die Frauen haben Römer-Sandalen, die Gott sei Dank heuer in Mode sind, in Schuhgeschäften gefunden. Für die Männer mussten wir sie im Internet bestellen“, schildert Kolb. Für den Kaiser wird überdies von einer Gärtnerei ein güldener Lorbeerkranz gebunden. „Brillen gab es ja zur damaligen Zeit auch nicht, deshalb müssen einige ohne Sehhilfen auskommen. Aber das geht“, so die Autorin.

Nervös sind die Akteure unter der Regie von Sebastian Kolb noch nicht. Parallel zu den Proben laufen auch die Organisationsarbeiten für die Bewertungsstände rund um die Kirche. Der Erlös daraus ist zugunsten der Kirche. Die Einnahmen aus dem Laurenzi-Spiel wiederum stiften die Wiechser an Christian „Fonsi“ Springers Orienthilfe. Der Verein, der 2012 von Kabarettist Christian Springer gegründet wurde, leistet humanitäre Unterstützung für Opfer des Syrienkonfliktes. Premiere ist am Montag, 10. August. Weitere Aufführungen finden am 12., 14., 15. und 16. August statt. Beginn bei trockenem Wetter ist jeweils 19.30 Uhr vor der Laurenzikirche. Karten zu zehn Euro gibt es im Vorverkauf bei Foto Stadler in Bad Feilnbach.
Bericht aus dem Mangall-Boten vom 01.08.2015
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